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Sozial. Radikal. Nachhaltig.

Eric Kragh Vildgaard über soziale Nachhaltigkeit, Spitzenqualität aus dem Meer und neue Arbeitsmodelle in der Spitzengastronomie
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Alexandra Gorsche © Conny Leitgeb Photography
30. Juni 2025 |
Alexandra Gorsche

„Wenn Köch:innen psychisch zerbrechen, hilft die beste Bio-Zutat nichts.“

Was bedeutet Nachhaltigkeit wirklich? Für Eric Kragh Vildgaard vom Zwei-Sterne-Restaurant Jordnær in Dänemark beginnt sie beim Menschen. Im Interview spricht er über soziale Verantwortung, Fischfang mit Ikigime-Technik, neue Wochenarbeitsmodelle – und warum die Gastronomie mehr über sich selbst reden sollte. Geführt im Rahmen der World’s 50 Best Restaurants 2025 in Turin.

Interview: Eric Kragh Vildgaard – Jordnær, Kopenhagen

ALEXANDRA GORSCHE: In Zeiten des Wandels – was ist dein Appell an Kolleg:innen, wenn es um Nachhaltigkeit, Zusammenarbeit und die Zukunft der Branche geht?
ERIC KRAGH VILDGAARD: Wir müssen uns ehrlich machen, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Es geht nicht nur um die Karotte auf dem Teller – sondern auch um das Team in der Küche. Ich rede von sozialer Nachhaltigkeit. Wenn Köch:innen psychisch zerbrechen, hilft die beste Bio-Zutat nichts. Wir brauchen mehr Transparenz, offene Gespräche – und das Verständnis, dass niemand das Recht hat, sich wie ein Arschloch aufzuführen, nur weil er oder sie unter Druck steht.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Fine-Dining-Szene?
Ich wünsche mir, dass wir dem kreativen Spirit dieser Generation folgen. Es gibt einen Umbruch. Die nordische Welle war prägend – aber jetzt suchen wir nach dem nächsten großen Ding. Ich glaube, Heritage Cooking – das respektvolle Arbeiten mit Traditionen – wird wichtiger. Korea ist für mich gerade das kreative Epizentrum.

Wird Fine Dining durch Austausch und Community neu definiert?
Absolut. Es passiert so schnell, dass wir kaum hinterherkommen. Ideen entstehen, verschwinden wieder – und manchmal wäre es schön, einfach langsamer zu sein. Unsere Branche muss nicht permanent überperformen, um relevant zu bleiben. Manchmal wäre mehr Tiefe besser als noch mehr Innovation.

Was war der größte Wandel der letzten fünf Jahre in puncto Nachhaltigkeit?
Bewusstsein. Es geht nicht mehr nur um „lokal“, sondern um das ganze System: Tierhaltung, Fütterung, Fischfang. Ich arbeite viel mit Fisch – und kämpfe gegen Billigimporte. Wer gefrorene Shrimps kauft, kann auch gleich den Planeten erschießen. 80 % des Problems spielt sich im Meer ab, nicht an Land. Aber das wird vergessen, weil wir das Meer nicht sehen.

Deine Küche ist bekannt für höchste Qualität bei Fisch und Gemüse – was ist am schwierigsten in der Umsetzung?
Alles, was mit Top-Qualität zu tun hat, ist herausfordernd. Aber Fisch ist besonders komplex. Handgetauchte Jakobsmuscheln, lebende Langustinen – das ist Spitzenqualität, aber nur möglich mit fairer Bezahlung für die Fischer. Wir haben zwei dänische Fischer nach Japan geschickt, um die Ikigime-Technik zu lernen – aus eigener Tasche finanziert. Leider gibt es wenig Unterstützung, weil es kaum wirtschaftlich ist.

Und was bedeutet das für die Preisgestaltung in der Gastronomie?
Wenn ein Menü teuer ist, hat das Gründe. Der Fisch wurde mit Liebe gefangen – das kostet Zeit und Geld. Aber viele Köch:innen schauen nur auf die Wareneinsatzquote, nicht auf Qualität. Das muss sich ändern. Nachhaltigkeit beginnt beim Einkauf – und die Gäste müssen das verstehen.

Wie setzt ihr soziale Nachhaltigkeit konkret im Betrieb um?
Als erstes Zwei-Sterne-Restaurant in Dänemark haben wir unsere Öffnungszeiten reduziert. Statt fünf Tagen nun vier. Meine Frau und ich haben sechs Kinder – wir wollten eine Balance. Das war anfangs ein Risiko, aber es hat funktioniert: Die Qualität stieg, die Wirtschaftlichkeit auch. Heute haben wir Samstag, Sonntag und Montag geschlossen. Und: Es folgen immer mehr Betriebe unserem Beispiel.

Würdest du sagen, du prägst die dänische Gastro-Szene aktiv mit?
Ja, definitiv. Ich sehe unsere Ideen in vielen anderen Häusern wieder. Und das macht mich stolz. Aber das Wichtigste bleibt: Wir dürfen uns selbst nicht vergessen. Soziale Nachhaltigkeit ist essenziell für die Zukunft unserer Branche.

Über Eric & Tina Vildgaard – Jordnær, Kopenhagen

Jordnær, was auf Dänisch „bodenständig“ bedeutet, steht exemplarisch für moderne dänische Gastlichkeit. Gegründet 2017 vom Ehepaar Eric und Tina Vildgaard, vereint das Zwei-Sterne-Restaurant höchste Qualität mit familiärem Feingefühl. Eric kochte zuvor in renommierten Häusern wie Noma, Søllerød Kro und Almanak. Tina leitet den Service. Besonders hervorzuheben ist die enge Zusammenarbeit mit lokalen Fischern – etwa durch die Anwendung der japanischen Ikigime-Technik für ethisch optimierten Fischfang.

Hinweis: Dieses Interview wurde im Zuge der World's 50 Best Restaurants 2025, beim Event Meet the Chefs, im Juni 2025 in Turin, Italien, geführt.

Unsere Branche muss nicht permanent überperformen, um relevant zu bleiben.

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