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Botschafter der vielen „Mexikos“

Jorge Vallejo über moderne mexikanische Küche, Teamführung und das Wiederentdecken von Tradition
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Alexandra Gorsche © Conny Leitgeb Photography
1. Juli 2025 |
Alexandra Gorsche

„Unsere Gerichte sollen Geschichte erzählen – und gleichzeitig in der Gegenwart verankert sein.“

Jorge Vallejo vom Spitzenrestaurant Quintonil spricht über die Vielfalt mexikanischer Küche, nachhaltige Teamkultur und warum Zukunft und Tradition keine Gegensätze sein müssen. Ein tiefgründiges Gespräch über Identität, Verantwortung und die globale Bedeutung mexikanischer Gastronomie – geführt bei den World’s 50 Best Restaurants 2025 in Turin.

Interview: Jorge Vallejo – Quintonil, Mexiko-Stadt

ALEXANDRA GORSCHE: In Zeiten des Wandels – was ist dein Appell an Kolleg:innen, wenn es um Nachhaltigkeit und die Zukunft unserer Branche geht?
JORGE VALLEJO: Ohne unsere Teams geht gar nichts. Für mich beginnt Nachhaltigkeit bei den Menschen – beruflich wie privat. Wenn jemand seine Träume verwirklichen kann, auch außerhalb der Küche, entsteht echte Balance. Ja, Gastronomie ist fordernd. Man braucht Ehrgeiz. Aber auch Raum, um sich als Mensch zu entwickeln.

Wie siehst du die internationale Wahrnehmung der mexikanischen Küche – wo siehst du noch Potenzial?
Mexiko ist gerade sehr präsent – und wir sind stolz darauf. Aber viele sehen nur eine vereinfachte Version unserer Küche. Mexiko ist riesig – du könntest ganz Europa darin unterbringen. Von der Wüste bis zum Dschungel, von Oaxaca bis Yucatán – es gibt viele „Mexikos“. Diese Vielfalt muss sichtbar werden. Es geht um mehr als Tacos und Burritos.

Wie gelingt dir die Balance zwischen Tradition und Innovation?
Beides gehört zusammen. Tradition war früher auch mal Innovation. Kochen war schon immer Spiegel gesellschaftlicher Entwicklung. In Mexiko waren Märkte das Zentrum der Gemeinschaft. Heute leben wir anders. Unsere Gerichte sollen Geschichte erzählen – und gleichzeitig in der Gegenwart verankert sein.

Hast du ein Beispiel für historische Globalisierung in der mexikanischen Küche?
Mexiko war früher eine Brücke zwischen Asien und Europa – über die Manila-Galeone und Handelsrouten. Zitrusfrüchte, Gewürze, Chilis – sie kamen von überall und haben unsere Küche geprägt. Was heute „traditionell“ erscheint, ist oft das Ergebnis jahrhundertealter Vermischung. Und das geht weiter.

Viele neue Gäste und Expats kommen nach Mexiko – passt ihr die Schärfe eurer Küche an?
Nein, wir passen nichts an. Wir zeigen unsere vielen „Mexikos“. Wenn es scharf ist, soll es auch scharf bleiben. Schärfe ist keine einzelne Empfindung – es gibt säuerliche, rauchige, süße Schärfe. Diese Vielfalt lernt man gerade kennen. Auch Tex-Mex hat seinen Platz – es ist eine Variation, keine schlechte. Aber die Welt muss die ganze kulinarische Tiefe Mexikos entdecken.

Siehst du eine neue Generation von Köch:innen, die diese Vielfalt weltweit zeigen?
Ja, definitiv. Talente wie Santiago Lastra in London oder Paco Méndez in Barcelona machen das großartig. Sie ehren unsere Wurzeln, setzen Techniken sinnvoll ein und führen ihre Restaurants mit Herz. Das ist die Zukunft.

Was sind aktuell eure größten Herausforderungen?
Nachhaltigkeit bleibt ein zentrales Thema – aber auch, wie wir die nächste Generation fördern. Wie Chirurgen brauchen Köche Übung, Wiederholung. Aber sie brauchen auch die Chance auf ein erfülltes Leben außerhalb der Küche. Der Schlüssel liegt darin, neue Arbeitsmodelle zu schaffen, die Leistung und Lebensqualität verbinden.

Woran arbeitest du derzeit?
Immer an der Basis: ein starkes Team aufbauen. Sinn stiften. Wachstum ermöglichen. Da beginnt alles.

Über Jorge Vallejo & Alejandra Flores – Quintonil, Mexiko-Stadt

Chef Jorge Vallejo prägt mit Quintonil die moderne mexikanische Küche. Das Restaurant liegt auf Platz 7 der World’s 50 Best Restaurants 2024. Vallejo studierte Gastronomie in Mexiko, arbeitete u. a. bei Pujol und Noma und gründete Quintonil 2012 mit seiner Frau Alejandra Flores. Sie leitet Service und Organisation, studierte in der Schweiz an der renommierten Les Roches und war zuvor für Enrique Olvera tätig. Gemeinsam verbinden sie Gastlichkeit, Tiefe und kulinarische Identität auf höchstem Niveau.

Hinweis: Dieses Interview wurde im Zuge der World’s 50 Best Restaurants 2025, beim Event Meet the Chefs, im Juni 2025 in Turin, Italien, geführt.

Wenn jemand seine Träume verwirklichen kann, auch außerhalb der Küche, entsteht echte Balance.

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Alexandra Gorsche, Jorge Vallejo und Alejandra Flores, Foto beigestellt
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