Von Mumbai nach Wien und Berlin

Warum immer mehr Spitzenköch:innen in Europa durchstarten
© Jan Peter Wulf
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Jan-Peter Wulf
7. August 2025 | 
Jan-Peter Wulf

In Indien gibt es unzählige talentierte Köch:innen – doch für viele endet die Karriere in schlecht bezahlten Küchen mit wenig Zukunft. Jetzt eröffnet sich eine neue Chance: Europas Top-Gastronomie sucht nach genau diesen Profis! Doch wer schafft es wirklich in die besten Restaurants?

Von der Foodie-Community zur internationalen Personalvermittlung

Wäre Sophie Radtke nicht regelmäßig zum Mittagessen ins Saravanaa Bhavan am Berliner Potsdamer Platz gegangen und hätte sie ihre Genussmomente nicht auf ihrem Foodie-Account „Gastroinferno“ geteilt – vermutlich säßen wir heute nicht im neuen Navi in Kreuzberg. Denn genau diese Posts führten dazu, dass sie dem Restaurant zu einem neuen Chefkoch verhalf. Beide Betriebe – der Berliner Ableger der weltweit bekannten vegetarischen Restaurantkette sowie das Ende 2024 eröffnete Navi – werden von Ritesh Taurani betrieben. Letzteres führt er gemeinsam mit seiner Frau Heena Manglani und Geschäftspartner Gurbir Gill.

Nicht nur Sophies begeisterte Insta-Posts aus dem Saravanaa Bhavan fielen Taurani auf, sondern auch ihre Ankündigung, dass sie gemeinsam mit ihrem Partner, dem indischen Koch Sandeep Sreedharan, ein neues Projekt ins Leben gerufen hatte: Chefsgate – ein Start-up, das talentierte indische Köche mit Perspektiven in Österreich und Deutschland verbindet.

Das Tor für Küchenprofis

„Und hier bin ich nun“, sagt Shannon Lawrence mit einem Lächeln. Er leitet die Küche des Navi mit einem mittlerweile siebenköpfigen Team. Der in Mumbai aufgewachsene Koch arbeitete nach seiner Ausbildung im Luxushotel Taj Mahal in Australien und den USA, bevor er nach Indien zurückkehrte und dort unter anderem im The Bombay Canteen sowie als Küchenchef im neuen CIRQA tätig war.

Die Speisekarte des Navi hebt sich bewusst von der üblichen indischen Gastronomie in Berlin ab. Statt einer domestizierten Version der südindischen Küche gibt es hier Gerichte, die die Vielfalt des gesamten Subkontinents widerspiegeln: Achari Tikka – ein vegetarischer Kebabspieß mit glasiertem Wurzelgemüse, Kräuter-Chutney, geröstetem Sesam und Pistazien-Crumble, oder Ajwain – verbrannter Kohl mit aufgeschlagenem Würz-Tofu, Tomaten-Masala und Thymian-Churma. Unbekannte, aber hoch aromatische Gerichte, die bis hin zu außergewöhnlichen Desserts wie Paruppu Payesam mit Linsen, Kokosmilch, Mungobohnen-Praline und verkohlter Ananas-Coulis reichen.

Berlin entdeckt die Vielfalt der indischen Küche

„Mein Antrieb ist es, der regionalen indischen Küche eine Bühne zu bieten. Berlin beginnt, unsere Esskultur wertzuschätzen“, erklärt Lawrence. Dabei wollte er eigentlich nicht mehr selbst in der Küche stehen, sondern jungen Kollegen helfen, ihren Platz in der Gastronomie zu finden. „Viele nehmen den erstbesten Job an, weil sie Angst haben, keinen anderen zu finden, und sind dann unglücklich“, erzählt er. Durch Chefsgate fand er schließlich doch seinen Weg nach Berlin – als Küchenchef eines innovativen Konzepts.

Neue Karrieremöglichkeiten für Indiens Küchentalente

Chefsgate möchte nicht nur Routiniers wie Lawrence vermitteln, sondern auch junge Talente mit wenig internationaler Erfahrung fördern. Die Idee entstand vor drei Jahren, als Sophie Radtke durch ihren Partner, der selbst in der Gastronomie tätig ist, einen tieferen Einblick in die Arbeitsbedingungen indischer Restaurants erhielt. Sie erkannte, mit wie viel Leidenschaft und Professionalität dort gekocht wird – aber auch, wie begrenzt die Perspektiven für viele sind. Niedrige Löhne, lange Arbeitstage und wenig Schutz sind oft die Realität. Chefsgate will diesen Köchen den Weg nach Mitteleuropa erleichtern und ihnen eine berufliche Zukunft in Spitzenbetrieben ermöglichen.

Passgenaue Vermittlung – nur wenn der Vibe stimmt

Die Nachfrage ist groß: Mittlerweile zählt die Chefsgate-Datenbank fast vierstellig viele Talente. Dennoch wurden bislang nur etwa ein Dutzend Köche vermittelt – weil das Team bewusst auswählt. Auch bei den suchenden Betrieben. „Wenn der Vibe nicht passt oder das Umfeld nicht stimmt, vermitteln wir nicht“, erklärt Radtke. Zu den bisherigen Partnern gehören unter anderem die Figlmüller Group in Wien, das A-Rosa in Kitzbühel und das Zwei-Sterne-Restaurant des Sylter Söl’ring Hof. Chefsgate übernimmt dabei das komplette Handling von Arbeitsgenehmigungen und Visa – ein aufwendiger bürokratischer Prozess mit rund 30 erforderlichen Dokumenten und vielen Abstimmungen mit Behörden.

Durch den Bürokratie-Dschungel

„Wir haben schon viele Herausforderungen erlebt“, erzählt Radtke. Mal erklärt sich eine Behörde für nicht zuständig, mal werden vollständige Dokumente nicht akzeptiert. Die Bearbeitungszeiten sind oft lang, und die Digitalisierung hinkt aus Sicht eines IT-Landes wie Indien deutlich hinterher. Dennoch wächst mit jeder erfolgreichen Vermittlung die Expertise von Chefsgate. In Österreich führt der Weg zur Rot-Weiß-Rot-Karte, die nach einem Punktesystem für Qualifikationen und Sprachkenntnisse vergeben wird. In Deutschland erfolgt die Arbeitserlaubnis über die Bundesagentur für Arbeit. Unterstützung erhalten sie dabei unter anderem von der Austrian Business Agency (ABA) und ProRecognition, das indische Fachkräfte über Karrieremöglichkeiten in Deutschland informiert.

Erfolgreiches Onboarding für internationale Kolleg:innen

Ein weiterer wichtiger Teil von Chefsgate ist das kulturelle und berufliche Onboarding. Betriebe müssen sich auf neue Teammitglieder aus Indien vorbereiten. Während große Unternehmen wie das A-Rosa in Kitzbühel bereits englischsprachige Küchenteams haben, sind kleinere Betriebe oft noch nicht darauf eingestellt. So stellte der Söl’ring Hof bereits vor Ankunft des indischen Küchenchefs Chitranshu Mandhyan seine Team-Meetings auf Englisch um – eine Maßnahme, die nicht nur den neuen Kollegen integrierte, sondern auch den Gästen zugutekam.

„Deutsche Gäste wollen ihren eigenen Teller“

Im Navi hat sich das Team um Shannon Lawrence bereits gut eingespielt. Dank seiner Vorbildfunktion haben sich bereits drei weitere indische Küchentalente dem Team angeschlossen. Was er über deutsche Gäste gelernt hat? „In Indien teilen wir das Essen – hier will jeder seinen eigenen Teller. Selbst bei den Vorspeisen.“ Deshalb achtet das Team besonders darauf, dass alle Gerichte gleichzeitig an den Tisch kommen. Welcome to Germany!

Indiens kulinarischer Einfluss weltweit

  • Spice it up! – Ohne Indien wäre die Weltküche ein gutes Stück langweiliger: Kurkuma, Kreuzkümmel, Kardamom & Co. sind längst global unverzichtbar.
  • Curry? Nicht gleich Curry! – In Indien gibt es Hunderte Currys – von cremigem Butter Chicken bis zum scharfen Vindaloo. Weltweit hat sich der Begriff verselbstständigt.
  • Tandoor-Technik – Ob indisches Naan oder saftiges Tandoori-Huhn: Die hohe Hitze des traditionellen Lehmofens sorgt für Röstaromen, die weltweit Nachahmer gefunden haben.
  • Streetfood-Power – Chaat, Samosas, Dosa – Indiens Streetfood-Kultur inspiriert Gastro-Konzepte von New York bis Berlin.
  • Vegetarisch? Kein Problem! – Indiens Küche zeigt, wie vielfältig pflanzliches Essen sein kann – von würzigen Dals bis zu gefüllten Parathas.
  • Chai statt Kaffee? – Der Masala Chai hat längst Kultstatus erreicht. Die Mischung aus Schwarztee, Gewürzen und Milch wird weltweit neu interpretiert.

Unser Fazit für die Zukunft

Indische Köch:innen bringen nicht nur ihr Handwerk mit, sondern auch eine Esskultur, die von tief verwurzelten Traditionen, intensiven Aromen und meisterhafter Technik lebt. Ihr Know-how verleiht der modernen Gastronomie eine neue Dimension – authentisch, leidenschaftlich und voller Geschmack.

Aus dem Genusspunkt Magazin Mai-Aug 2025

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Navi Berlin © Jan Peter Wulf
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